Donnerstag, 21. Juni 2007

Killerspiele!

Zur Zeit gerade nicht in der Diskussion, doch schon oft genug und wird wieder kommen. Von daher ein Rückblick zu dieser Meldung:

"Die Innenminister von Hessen, Thüringen, Niedersachsen und Bayern wollen gemeinsam ein bundesweites Verbot gewaltverherrlichender Computerspiele durchsetzen. Sie berufen sich darauf, dass bei der Altersfreigabe oft schwere Fehler passieren würden." [Quelle: Welt.de]

Da hier Fehler gemacht wurden, soll man Spiele für ALLE VERBIETEN anstatt die Fehler zu beheben und ab jetzt alle brutalen Spiele ab 18 einzustufen? Was für eine typische verquerte Politiker-Logik! Leben wir in einer Diktatur oder in einer Demokratie? Was kommt als nächstes? "Killerfilme" also James Bond und Co. Verbot, da hier viele Leute getötet werden? James Bond Filme sind auch (alle?) ab 12 oder 16 freigegeben, verharmlosen aber Gewalt und Töten und machen draus eine schöne Unterhaltung.

Ganz früher waren Bücher an Gewalt und Co. verantwortlich und man (Kirche usw.) verteufelte Bücher... Danach (~70er bis anfang 80er) schob man Jugendgewalt auf Rockmusik, da diese teuflisch sei und zu Gewalt aufrufe, dann ab mitte-ende der 80er bis mitte der 90er war das Fernsehen und brutale Filme schuld und seit ende der 90er Jahre sind es brutale Spiele... die dümmsten Politiker suchen sich immer rein bequem Objekte aus um die Gründe darauf zu schieben. Wahrhaft schuld ist immer nur die Gesellschaft und Einzelperson. Nie wurde einer durch Musik, Filme oder Spiele gewalttätig. Manche Menschen sind durch ihre Erziehung, ihr Umfeld usw. gewalttätig und mögen darum UNTER ANDEREM dann natürlich auch gewalttätige Musik, Fernsehen (Filme) und Spiele und nicht anderst herum. Was ist zudem mit der Bundesswehr? Da lernt man im Gegensatz zu Spielen/Filmen/Musik wirklich mit Waffen umzugehen und wird zum Töten gedrillt. Eigentlich müssten also demnach, wenn das mit Spiele/Filme/Musik führt zu Gewalt real ist, erst Recht, ganz besonders, wissenschaftlich belegbar (Anerziehung und Übung samt Wissen zum Töten) zu Amokläufern führen. Also zuerst Bundeswehr verbieten. Realistisch gesehen und vor allem belegbar, führt das am allerwahrscheinlichsten zu Gewalt und dem Wissen sowie der Übung (Drill: Von BW eingeimpft, dass man Töten kann/"muss") zum Töten. Wenn wirklich besonders viele Gewalttäter auch Killerspiele spielten, könnte das daran liegen, dass sie nun mal gewalttätig waren und darum auch gewalttätige Spiele spielten? Ist das nicht logischer als zu sagen, sie spielten gewalttätige Spiele und wurden erst dann oder dadurch gewalttätig?

Linktipp zum Thema: http://freisein.wordpress.com Von dieser Quelle stammt auch der folgende Text, den ich mir nicht zu Eigen mache. Copyright & alle Rechte bei http://freisein.wordpress.com

Warum die Kampagne gegen Computerspiele mit Gewaltinhalten nicht nur verfehlt, sondern auch gefährlich ist.


Die „Diskussion“ über ein Verbot so genannter „Killerspiele“ nach der Tat von Emsdetten ist maßlos überzogen und geht an der Realität des existierenden Jugendschutzes in Deutschland, an den Tathintergründen, sowie am Stand der Medienforschung vorbei. Durch blinden Aktionismus und Verdrehung von Fakten werden nicht nur Millionen Computerspieler unnötig diskriminiert und womöglich in Zukunft kriminalisiert, sondern es wird auch eine rationale Analyse der wirklichen Ursachen von Schulmassakern und damit die Erarbeitung sinnvoller Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Taten unmöglich gemacht. So trägt diese falsche „Diskussion“ eher zu weiteren Massakern bei, als diese zu verhindern. Sie propagiert zudem Verbote als Allzwecklösung und schadet so der demokratischen Kultur in Deutschland.

Jeder kann die Gründe nachlesen

Emsdetten Ende November 2006: Der 18-jährige Realschüler Sebastian B. schießt an der der Geschwister Scholl Schule in Emsdetten um sich, verletzt 36 Menschen und tötet sich anschließend selbst. Die schreckliche Tat ähnelt dem Massaker von Robert Steinhäuser in Erfurt, vier Jahre zuvor. Während die Motive von Steinhäuser 2002 jedoch weitgehend ungeklärt blieben, hat Sebastian B. die Gründe für seine Tat ausführlich dokumentiert. Im Internet veröffentlichte er vor der Tat eine mehrseitige Begründung, sowie ein fünfminütiges Abschiedsvideo auf Englisch. Daneben existieren ein Online-Tagebuch, ein handgeschriebenes Tagebuch, weitere Videos und mehrere Foreneinträge.

Im Abschiedsbrief, dem Video und im Online-Tagebuch berichtet Sebastian B., dass sein Leben wundervoll war, bis er eingeschult wurde und dass er jetzt „in seinem Leben nicht mehr Glücklich werden kann“, da er sich in der Gesellschaft „überflüssig“ findet, dass er „für alle immer der Dumme war“, dass er jahrelang versucht hat ohne Erfolg Freunde zu finden in „einer Welt in der Geld alles regiert, selbst in der Schule“ und in der man „das neuste Handy“, „die neusten Klamotten“, und „die ‚richtigen’ Freunde“ haben muss. Der Abschiedsbrief beginnt mit dem Worten:

„Wenn man weiss, dass man in seinem Leben nicht mehr Glücklich werden kann, und sich von Tag zu Tag die Gründe dafür häufen, dann bleibt einem nichts anderes übrig als aus diesem Leben zu verschwinden. Und dafür habe ich mich entschieden.“

Aus den Dokumenten geht nicht nur hervor, dass Sebastian B. sich als verzweifelten Außenseiter sah, dem es nicht gelang Freunde zu finden, sondern auch, dass er in der Schule misshandelt und gemobbt wurde: Er schreibt in seinem Abschiedsbrief von „Schülern die mich gedemütigt haben“. Im Video sagt er, er wurde seit der ersten Klasse gehänselt, er wurde angespuckt, getreten, niedergeschlagen. Er erzählt von einem Mitschüler, der mit dem Feuerzeug einen Schlüssel erhitzte und ihm damit seine Hand verbrannte. Sebastian B. schildert, dass sein Hass allen gilt, die das System von Statussymbolen, Gruppendruck und Mobbing in der Schule initiieren und aufrechterhalten. Er ist überzeugt, dass jeder, der anders als die Masse ist, „ein einsamer Verlierer ist“. Die Schuld daran sieht er jedoch nicht nur bei Mitschülern und Lehrern, sondern vor allem auch bei den Medien, die vermitteln, was der Mainstream ist, also was man besitzen muss und wie man aussehen muss um „cool“ zu sein.

Die Dokumente zeigen auch, dass Sebastian B. in den Jahren vor der Tat, in denen er das Massaker plante, sich immer mehr zurückzog. Er schreibt in seinem Online-Tagebuch 2005, dass er nicht mehr ins Schwimmbad geht um „nicht noch mehr Scheiße zu erleben“ und schließlich möchte er sich nur noch bei denen rächen, die sein Leben zerstört haben. Bereits im Juni 2004 sucht er im Internetforum „das-beratungsnetz.de“ Hilfe: „Ich weiß selber nicht woran ich bin, ich weiß nicht mehr weiter, bitte helft mir“ und „Ich habe mich versteckt [vor einem Klassenkameraden, der ihn verprügeln wollte], seitdem hatte Ich Angst. Diese Angst schlägt so langsam in Wut um. Ich fresse die ganze Wut in mich hinein, um sie irgendwann auf einmal rauszulassen, und mich an all den Arschl**hern zu rächen, die mir mein Leben versaut haben.“ Er bezieht sich dabei auf Mitschüler „die immer nur auf die Schwächeren gehen können.“ Bereits in diesem Posting von 2004 redet er offen von Gedanken an einen Amoklauf.

Löst Mobbing Amokläufe aus?


Selbstverständlich ist seine Gewalttat durch nichts zu entschuldigen und aufs Schärfste zu verurteilen. Es ist auch klar, dass Sebastian B. lediglich seine subjektiven Empfindungen schildert und sich eine inakzeptable anarchistische und hasserfüllte Weltanschauung aufgebaut hat. Die Probleme, die er beschreibt, kennen jedoch viele Jugendliche: Gruppenzwang, Statusdenken und Mobbing in der Schule gehören zum Alltag vieler Schüler. In Deutschland tauchten vor wenigen Monaten Fälle in der Presse auf, in denen das körperliche Quälen von Schülern mit Videokameras aufgezeichnet wurde. Es sollte aber nicht dieser medienwirksamen Fälle bedürfen, um der Masse der Bevölkerung zu zeigen, wie rau der Schulalltag besonders für Außenseiter sein kann, denn fast jeder kann sich noch an einen Klassenkameraden erinnern, der gehänselt oder gequält wurde oder erinnert sich an seine eigenen Probleme in der Schulzeit.

In meiner eigenen Schule, einem Gymnasium auf dem Land, wurden gleich mehrere Schüler über Jahre hinweg psychisch und physisch gequält. Dies ging sogar soweit, dass es gegen eine Schülerin X einen Anti-X-Club gab, in dem fast die ganze Klasse Mitglied war. Inklusive Clubzeitschrift und Clubhymne versteht sich. Die Schülerin X wurde über Jahre beschimpft und gedemütigt und fast niemand wollte etwas mit ihr zu tun haben, um nicht auch in die Ungunst der Klassenmehrheit zu geraten. Ein anderer Klassenkamerad wurde, weil er sich in der Pubertät nicht traute zu duschen, zum Außenseiter. Er wurde als „Stinker“ bezeichnet, bei jeder Gelegenheit beleidigt und geschlagen und schließlich mit Gewalt ausgezogen und unter die Dusche gezerrt. Würde so etwas aus Guantanamo berichtet, würde man es schlichtweg Folter nennen.

Auch der Einfluss der Medien auf das Konsumverhalten von Jugendlichen und die Wichtigkeit von Statussymbolen ist bekannt. Früher wurden Erstklässler zu Außenseitern, wenn sie keinen Scout-Schulranzen hatten, heute sind sie es, wenn sie nicht den aktuellsten Jamba-Klingelton für ihr Mobiltelefon aktiviert haben. Jeder der schon einmal den Schmerz von Mobbing oder von nicht akzeptiert werden erlebt hat, kann sich vielleicht vorstellen wie sich ein Menschen fühlen muss, der über Jahre ausgestoßen, gedemütigt und gequält wird und jeder kann nachvollziehen, dass bei so etwas neben anderen starken Emotionen Hass entsteht. Die von Sebastian B. gelieferten Begründungen sind also der Schlüssel zum Verständnis seiner schrecklichen Tat.

Deutschland hat den weltweit verbindlichsten Jugendschutz


Man hätte also annehmen können, dass dadurch, dass die Hintergründe und Motive der Tat diesmal vom Täter selbst ausführlich und nachvollziehbar dokumentiert sind, eine ernsthafte und fruchtbare Diskussion in Deutschland stattfindet. Die Frage nach dem Warum wäre diesmal nicht verhallt, denn der Täter hat seine Tat ausführlich begründet. Es hätte eine Diskussion über Schulklima, Mobbing, Gruppendruck, Integration von Außenseitern, bessere Früherkennung von Problemfällen und Gewaltpotenzialen in den Schulen, sowie über Einrichtung und Verbesserung von Hilfsangeboten für Problemschüler geben können. Solch eine Diskussion wäre in Deutschland nicht nur dringend nötig, sie würde, die richtigen Konsequenzen vorausgesetzt, wohl auch zu einer Verhinderung neuerlicher Gewaltexzesse und einem besseren Miteinander unter Jugendlichen beitragen können.

Statt solch einer sinnvollen Diskussion sind die Spalten der Zeitungen und die Sondersendungen in TV und Radio jedoch seit Wochen mit überwiegend einseitigen Berichten über ein Verbot von Computerspielen mit Gewaltinhalten gefüllt. Es wird dabei vermehrt der Eindruck vermittelt, als wären diese Spiele bösartige Maschinen, die gesunde und glückliche Kinder in geisteskranke Amokkiller verwandeln. Es wird das Bild vom Zwölfjährigen vermittelt, der sich von seinem Taschengeld beliebig blutrünstige Spiele im Laden kaufen kann. Dabei besitzt Deutschland mit der USK eine der besten, wenn nicht die beste, Prüfinstanz der Welt. Leider scheinen nur Computerspieler selbst zu wissen, wie schwer es gewalttätige Spiele in Deutschland seit vielen Jahren haben: Oft erscheinen sie gar nicht oder kommen nur zensiert auf den Markt. Kein Spiel erscheint hierzulande ohne Altersfreigabe und Klassifizierung.

Gears of War, das momentan weltweit beliebteste Spiel für Microsofts neue Xbox-360 Spielkonsole, welches nach Meinung vieler ausländischer Spielezeitschriften „der Nummer-1-Grund dafür ist, sich eine Xbox-360 zu kaufen“, wird z.B. erst gar nicht in Deutschland veröffentlicht, da der Hersteller nicht mit einer Jugendfreigabe des Spiels rechnet. In allen anderen Ländern ist das Spiel frei erhältlich.

Die immer wieder in den Medien erwähnten „Killerspiele“ wie Quake, Doom oder Soldier of Fortune sind in Deutschland seit ihrem Erscheinen indiziert und dürfen damit nicht beworben und offen zum Verkauf angeboten werden. Jugendliche bekommen die Spiele, anders als in anderen Ländern, damit in Geschäften überhaupt nicht zu Gesicht und Erwachsene müssen zum Erwerb nach dem Spiel fragen und per Ausweis ihre Volljährigkeit belegen. Bei Versandhändlern wie z.B. amazon.de kann Ware, die keine Jugendfreigabe erhalten hat, zwar bestellt werden, jedoch nur von Erwachsenen mit eigenhändiger Paketübergabe. Somit ist der Jugendschutz in Deutschland mehr als ausreichend. Die USK schreibt in einer Pressemitteilung vom 22.09.2006: „Unter den demokratischen Rechtsstaaten der Welt hat Deutschland den verbindlichsten Jugendschutz. Viele Computerspiele gelangen aufgrund des durch die USK und durch die BPjM gestalteten Jugendschutzes gar nicht in die hiesigen Angebote, teilweise auch, weil auf eine Markteinführung hierzulande von vornherein verzichtet wird. Und: in keinem anderen Land wird jedes Spiel vor der Altersfreigabe durch ein Gremium unabhängiger Experten begutachtet und bewertet.“ Spielen Jugendliche für sie verbotene Spiele trotzdem, so haben sie diese entweder illegal erworben oder die Spiele wurden rechtswidrig von Erwachsenen weitergegeben, was in Deutschland einen Straftatbestand darstellt.

Ablenkungsfeuerwerk zur Stammtischbefriedung



Dass also trotz des vorbildlichen Jungendschutzes über ein Verbot „diskutiert“ wird, sollte nicht nur die Millionen Computerspieler in Deutschland erzürnen, sondern auch jeden freiheitsliebend und demokratisch gesinnten Menschen. Dabei ist es durchaus nachvollziehbar, dass nicht jeder jedes Spiel gutheißt. Aber egal, ob man Spiele, in denen Kugeln fliegen, prima findet oder sie verachtet, wenn es um Verbote geht, wird immer auch die Freiheit von Erwachsenen beschnitten und die Erhaltung von Freiheit sollte in einer Demokratie das Streben eines Jeden sein. Auch wer Computerspiele und vor allem Spiele mit gewalttätigen Inhalten schlecht findet, sollte bedenken, dass es einen Unterschied gibt zwischen etwas schlecht finden und etwas anderen Erwachsenen verbieten zu wollen! Das folgende Zitat von Evely Beatrice Hall wird oft auch Voltaire zugeordnet. Es drückt sehr gut aus, worum es in einer freiheitlichen Demokratie geht, nämlich um Tolerierung von Meinungen, Lebensweisen und Eigenheiten anderer: “Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen.” Denn genauso wie man in einer freiheitlichen Demokratie andersartige Meinungen tolerieren muss, muss man auch andersartige Lebensweisen und Vorlieben tolerieren. Verbote von Kulturgütern wie Computerspielen erinnern fatal an die Verbrennung von Büchern und an die Vernichtung „entarteter“ Kunst. Solche Exzesse sollten nur in der Vergangenheit, nicht in der Zukunft Deutschlands liegen.

Nach einer Tat wie der in Emsdetten herrscht in der Gesellschaft Ratlosigkeit und Angst: Die Menschen fragen sich, warum solche schrecklichen Dinge passieren können, was denn mit der Jugend von heute los sei. Eltern fürchten sich, wollen ihre Kinder nicht mehr in die Schule schicken. Jeder fühlt sich irgendwie hilflos und zugleich wütend, dass so etwas passieren konnte. In einem solchen Klima werden dann auch schnell „Konsequenzen“ und die Suche von „Schuldigen“ gefordert und es kommt in solchen Situationen dann häufig auch zu Rücktritten von Spitzenpolitikern. Im Fall von Emsdetten hätte man die Schuld zunächst am Täter selbst festmachen können, dann hätte man sachlich und rational die Hintergründe der Tat klären können, z.B. durch Lesen der oben erwähnten Hinterlassenschaften, und dann wäre wohl eine Diskussion angebracht gewesen darüber, was in unserer Gesellschaft falsch läuft, wenn Jugendliche sich abschotten, verzweifeln und dann möglichst medienwirksam ihren Selbstmord und Rachefeldzug an der Gesellschaft inszenieren. Eine solche Diskussion wäre komplex und würde auch die Mitverantwortung von Eltern, Lehrern, Mitschülern und Medien hinterfragen. Sie würde garantiert nicht schnell zu einer Lösung kommen und wäre daher kein Balsam auf die Wunden der getroffenen Bevölkerung.

Da die aufgebrachte Masse aber einfache Lösungen braucht und komplizierte und langwierige Diskussionen über Probleme in der Gesellschaft auch nicht sehr schlagzeilenkompatibel sind, wird lieber ein riesiges Ablenkungsfeuerwerk gestartet: Ein Hobby von Sebastian B. waren ja Computerspiele und einige von denen, es ist aus der Berichterstattung nicht klar welche, hatten ja auch gewalttätige Inhalte - Killerspiele also! Die üblichen Verdächtigen, hauptsächlich in der CDU/CSU zu finden, melden sich dann auch schon mit alten Forderungen zu Wort, bevor das Blut getrocknet ist und bevor überhaupt irgendeine Chance bestand auch nur einen kurzen Blick auf die Hintergründe der Tat zu werfen. Und so wird aus dem gemobbten, verzweifelten, wütenden Außenseiter Sebastian B. ein leidenschaftlicher Killerspielefan, der sich in ominösen „virtuellen Welten“ das Töten antrainiert hat.

Das ist nicht nur wesentlich stammtischkompatibler und beruhigender, als wenn in der Gesellschaft an sich etwas im Argen liegen würde, die implizierte Killerspiele-machen-Killer-Begründung liefert auch gleich ein viel einfacheres Lösungsrezept als die Diskussion über soziale Verantwortung, Schulklima und Prävention: Killerspiele sind schuld, also müssen sie verboten werden! Klar, dass so kurz nach der Tat noch niemand anderes kompetente Lösungsvorschläge hat und so dominieren eben die Spiele die Schlagzeilen und befrieden die Stammtische.

Killerspiele - Was ist das?



Dabei ist das (offenbar von Edmund Stoiber erfundene) Wort „Killerspiele“ bereits ein propagandistisches Meisterwerk! Der Begriff ist sehr abstrakt und damit komfortabel auf individuelle Computerspiel-Feindbilder, die in der Bevölkerung existieren, anzupassen. Der Begriff passt so auch bequem auf fast alle Actionspiele, die man heute auf Festplatten von Computerspielern findet. Die Bezeichnung als Killerspiel hat das Abnormale bereits innewohnend und reduziert auch komplexe, technisch brillante Spiele, bei denen es auf Taktik, Teamwork und Geschick ankommt, automatisch auf das stumpfe virtuelle Töten von Menschen und verbittet daher jegliche Diskussion über etwaige positive Qualitäten eines solchen Spiels: So ist es ja auch viel einfacher einem spannenden Actionspiel als gutes Spiel zu verteidigen, als Positives an einem „Killerspiel“ hervorzuheben.

Würde man so den hoch gelobten neuen James Bond (FSK12), in dem Daniel Craig gleich zu Anfang kaltblütig und mit einem coolen Spruch auf den Lippen einen praktisch unbewaffneten Gegner erschießt, auf Tötungshandlungen durch die Hauptfigur reduzieren, so könnte man auch Casino Royal als einen „Killerfilm“ bezeichnen. Ein Verbot von James Bond in Deutschland wäre, der Logik der Verbotseiferer folgend, also spätestens dann fällig, wenn im Zimmer eines Gewalttäters eine Bond-DVD gefunden werden würde.

Der Begriff „Killerspiel“ hat aber gerade den Vorteil, dass er weniger als z.B. das Wort „Gewaltspiel“ an solche uralten Diskussionen über „Gewaltfilme“ erinnert, die bereits vor Jahrzehnten geführt wurden. Damals waren Filme im Verdacht, die Jugend zu verderben. Denn wer sich an die Gewaltfilm-Debatte erinnert und erkennt, dass es sich bei der aktuellen Kampagne um eine Aufwärmung und Übertragung von alten Argumenten auf neue Medien handelt, der erinnert sich wohl auch an die Argumente gegen die gefährliche Wirkung von Heavy-Metal-Musik. Wie war das noch mit den satanischen Botschaften, wenn man die Langspielplatte rückwärts abspielt? Oder gar an die vor langer Zeit in den USA heiß geführte Debatte über das Teuflische des Rock’n’Roll, der für die Verrohung der Jugend verantwortlich gemacht wurde und verboten werden sollte. Und wer so denkt, dem wird womöglich schnell klar, dass es sich bei der aktuellen Kampagne um die Austragung eines schwelenden Generationskonflikts handelt, leider auf Kosten der Opfer von Emsdetten. Zwar hat sich das Alter der Computerspieler in den letzten Jahren erheblich erhöht, jedoch sind Computerspiele immer noch das Medium der Jungen, das von großen Teilen der älteren Generationen nicht verstanden wird.

Generationskonflikt wird auf dem Rücken der Opfer ausgetragen



So wundert es auch nicht, dass gerade konservative Politiker die Verbote am lautesten fordern. Interessant ist zudem, dass die Verbotseiferer selbst nie Computerspiele und schon gar nicht die von ihnen als „Killerspiele“ diffamierten Spiele gespielt haben! Damit wissen die Politiker, welche sich jetzt mit immer strengeren Verbotsvorschlägen überbieten, gar nicht, wovon sie eigentlich reden. Herr Bosbach gibt dies im Spiegel-Interview auch offen zu. Ein typisches Beispiel von Irving’schen Apfelhaus-Regeln: Regeln, die von Menschen gemacht werden, die keinen Bezug zu den Lebensumständen der durch die Regeln Betroffenen haben und die damit für die Betroffenen keinen Sinn machen und faktisch ungültig sind!

Bei all den Ablenkungsmanövern und Ersatzdiskussionen fragt man sich, ob überhaupt ein Interesse daran besteht, die wahren Beweggründe zu ermitteln. Nach dem Massaker von Robert Steinhäuser in Erfurt sagte Angela Merkel am 3. Juli 2002 im Bundestag:

„Wir müssen nicht verstehen und nachvollziehen, warum ein 19-Jähriger 16 Menschen und anschließend sich selbst erschossen hat. Aber wir müssen Konsequenzen ziehen, um ein weiteres Erfurt wenn nicht unmöglich, so doch weniger wahrscheinlich zu machen.“

Offenbar besteht oder bestand tatsächlich kein Interesse. „Nicht verstehen?“ Wie soll es möglich sein, vernünftig „Konsequenzen ziehen“, wenn nicht verstanden wird, was die Täter motiviert? Wie können weitere potenzielle Täter früherkannt werden, wenn nicht einmal die vorherigen Tatmotive begriffen wurden? Nur mit einer solch offensichtlich kopflosen Haltung lassen sich Schnellschüsse und Symptombehandlung wie Computerspieleverbote begründen. Doch es geht noch schlimmer, denn in der Rede von Frau Merkel hieß es weiter:

„Wer das Unverständliche verstehbar und das Unerklärbare erklärbar machen möchte, der muss aufpassen, dass er sich nicht – zumindest unterschwellig – auf die Seite des Täters stellt und versucht, das Unentschuldbare mit irgendwelchen Umständen zu erklären.“

Man könnte eine Warnung an Klardenker und Menschen, die sich wirklich für die Tathintergründe, fernab populistischer Feindmuster und Einfach-Erklärungen interessieren, wohl kaum deutlicher formulieren. Mit solchen Äußerungen wird von vorne herein eine offene Debatte verhindert und jeglicher rationale, vielleicht sogar neue, Erklärungsansatz wird zur potenziellen Verbrüderung mit Tätern. Dabei ist es doch legitim, die Motive eines Täters zu verstehen. So können z.B. auch Geldsorgen als Motiv eines Bankraubs nachvollzogen werden, ohne dass dies den Raub gerechtfertigt oder den Bankräuber weniger verantwortlich macht.

Als „Killerspiele“ diffamierte Spiele sind das Hobby von Millionen Deutschen



Nicht nur das perfekte Timing mit dem die Anti-Spiele-Argumente vorgebracht wurden, auch die geschickte Begriffsbildung für bestimmte Actionspiele, die Brandmarkung von Sebastian B. als Killerspielefan, die Ignorierung von hervorragenden Jugendschutz-Maßnahmen in Deutschland und die Emotionalisierung der Debatte tragen propagandistische Züge. Auch die Ziehung logischer Schlussfolgerungen, wo keine existieren bzw. wo diese unzulässig sind und die generelle Verdrehung von Fakten und deren Vermischung mit Mutmaßungen hat in der Berichterstattung ein nicht zu tolerierendes Maß: So werden „Experten“, die oft gar keine Wissenschaftler sind, befragt, ob ein übermäßiger Konsum von gewalttätigen Spielen bei Kindern und Jugendlichen zu erhöhter Gewaltbereitschaft führt. Bei diesem Thema spalten sich die Meinungen und die Ergebnisse von Studien. Von einem Kausalzusammenhang geht jedoch niemand aus. Trotzdem wird immer wieder unterschwellig die Annahme vermittelt, dass die Computerspiele Schuld seien.

Sowohl Robert Steinhäuser als auch Sebastian B. hatten Computerspiele mit gewalttätigen Inhalten auf ihren Computern. Ist das erstaunlich? Wenn man betrachtet, dass jeder dritte Jugendliche (laut Spiegel) allein das Spiel Counter-Strike gespielt hat, ist es anzunehmen, dass noch wesentlich mehr Jugendliche überhaupt solche Spiele spielen. Betrachtet man dann noch, dass die Mehrheit der Actionspiele-Spieler männlich ist und dass Jugendliche, die eher zurückgezogen sind, häufiger spielen, so scheint es nur natürlich, dass bei den Amokläufern, die ja aus dieser Gruppe stammen, solche Spiele gefunden wurden. Den Umkehrschluss herzustellen, also dass aus „bei Amokläufern findet man meist Gewaltspiele“ wird „wenn man Gewaltspiele findet, handelt es sich um einen potenziellen Amokläufer“ oder „Gewaltspiele rufen Amokläufe hervor“ ist nicht nur absurd, sondern auch logisch falsch. Vielmehr spielen Amokläufer einfach die gleichen Spiele wie Millionen andere Deutsche. Genauso, wie sie das gleiche Bier trinken, die gleichen Filme sehen und die gleichen Autos fahren.

Kein Bedarf für ein Verbot



Selbst Befürworter der These, dass ein übermäßiger Konsum von Spielen zu erhöhter Gewaltbereitschaft führen kann, bestreiten, dass Computerspiele gesunde Jugendliche in Killermaschinen verwandeln können. Sie behaupten allenfalls, dass bereits existierende Gewaltpotenziale eventuell vergrößert werden können. Ob dies wirklich so ist, ob es keinerlei Zusammenhang gibt oder ob eine Minderung von Gewaltpotenzialen und Aggressionen stattfindet, wird kaum durch verlässliche und schlüssige wissenschaftliche Studien zu belegen sein. Trotzdem wird der Negativ-Zusammenhang oft als Tatsache angenommen und ist, maßlos übersteigert, die Grundlage der Argumentation von Verboten.

Aber stellt sich die Frage nach einem Zusammenhang denn überhaupt? Laut dem Jugendschutzgesetz in Deutschland sind die Spiele, über die gestritten wird und deren negativer Einfluss auf Jugendliche untersucht wird, für Kinder und Jugendliche doch gar nicht freigegeben. Es wird also diskutiert, ob es schlecht ist, wenn Jugendliche etwas tun, was ihnen ohnehin bereits verboten ist. Die aktuelle Diskussion ist also in etwa so, als würde man diskutieren ob Autofahren für 14-jährige, die laut Gesetz ja gar keine Autos fahren dürfen, denn gefährlich sei. Sollte man deshalb Autos generell verbieten?

Selbst wenn Wissenschaftler also schlüssig beweisen könnten, dass Gewaltspiele Jugendliche negativ beeinflussen, gäbe es in Deutschland keinerlei Gründe für eine Änderung bestehender, strenger und vorbildlicher Gesetze! Genauso sieht es auch das Bundesjugendministerium. Auf eine kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion gab das Ministerium im August 2006 eine klare Antwort: Es gebe keine Notwendigkeit für gesetzliche Verschärfungen in Richtung eines Verbots von „Killerspielen“, da die Regulierungen in Deutschland gut funktionieren und die Arbeit der USK lobenswert ist. In der Antwort des Ministeriums wird auch die praktische Arbeit der Jugendschützer ausdrücklich gelobt und darauf hingewiesen, dass die Forschung zu virtueller Gewalt auf Jugendliche ein breites Spektrum von Ergebnissen hervorbringe: “von keinerlei Auswirkung über Aggressionssteigerung, Verrohung bis zum Aggressionsabbau”.

Vom Aggressionsabbau sprechen vor allem auch die eigentlichen Spieler solcher Spiele, deren Meinung in der öffentlichen „Diskussion“ überraschenderweise am wenigsten gefragt ist. Sicher würde ein cleverer Student, der ab und zu eine Runde Quake zum Abreagieren spielt, das mühsam aufgebaute Bild vom sozial isolierten und dumpfen Killerspieler genauso zerstören wie der Familienvater, der sich nach einem stressigen Arbeitstag eine Partie Counter-Strike gönnt und dann die Kinder ins Bett bringt. Überhaupt wird in den Nachrichtenmedien oft das Bild vermittelt, Spiele wie Counter-Strike würden nur von einsamen Jugendlichen mit Gewaltphantasien gespielt. Die Realität ist hingegen, dass diese Spiele ein „Volkssport“ sind. Das Spielen solcher Spiele wird auch als Elektronischer Sport (E-Sport) bezeichnet, der ähnlich wie andere Sportarten in Ligen organisiert ist. Die Electronic Sports League zählt z.B. über 600.000 Mitglieder. Weltweit macht die Computerspielebranche mehr Umsatz als Hollywood an den Kinokassen. Computerspiele sind somit in drei Jahrzehnten zu einem weltweiten Kulturphänomen mit vielen Millionen Anhängern geworden. Die Spiele, welche Stoiber, Beckstein, Wulff und andere jetzt verbieten möchten, gehören zu den meistverkauften. Sie sind nicht die Beschäftigung einiger verstörter Jugendlicher, sie sind das Hobby von Millionen Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten in Deutschland! Millionen Deutsche würden also von einem weltweiten Kulturphänomen ausgeschlossen und für die Ausübung ihres Hobbys kriminalisiert. Das klingt eher nach mittelöstlichem Gottesstaat als nach freiheitlicher Demokratie!

Wen kriminalisieren wir als nächstes?



Gerade wenn man sieht, dass der Jugendschutz in Deutschland sehr gut ist und dieser selbst von der EU-Kommission als vorbildlich bezeichnet wird, ist es umso fragwürdiger warum Spiele plötzlich auch für erwachsene Menschen verboten werden sollen. Günther Beckstein, der für provokative und medienwirksame Äußerungen bekannt ist, fordert gar, das Spielen von Computerspielen mit Konsum von Kinderpornographie gleichzusetzen. Bis zu zwei Jahre Haft soll es bei Gesetzesverstößen geben. Ist das die Lösung der Politik? Jugendliche (und Erwachsene) mit Kinderpornographen gleich zu stellen und sie ins Gefängnis zu sperren, wenn sie bestimmte Spiele spielen, die nicht in die vorherrschende Moralvorstellung passen? Was ist mit dem Selbstbestimmungsrecht von Erwachsenen? Was wird demnächst noch alles verboten in Deutschland? Formel-1-Schauen, weil ein Zusammenhang mit Autobahnrasen besteht? Sportwagen aus demselben Grund? Reggae-Musik weil sie zum Marihuana-Konsum anregt? Oder wie wäre es mit Scheidungen, weil dadurch Familien zerbrechen?

Von den meisten Politikern wird gar nicht erörtert, was ein Verbot praktisch bringen soll, angesichts der Tatsache, dass die Spiele für Jugendliche ja bereits verboten sind. So zeigt sich die USK in ihrer Pressemitteilung vom September 2006, also schon vor der neuerlichen Hysterie nach Emsdetten, überrascht von den damaligen Forderungen von Niedersachsens Innenminister Schünemann und von Prof. Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN), einem der Hauptkritiker von Computerspielen in Deutschland. Diese hatten, medienwirksam versteht sich, gefordert, dass „Gewalt verherrlichende Spiele nicht in Kinderhände gehören“. Die USK antwortete:

„In einem stimmen wir dem Innenminister und dem Direktor des KFN unbedingt zu: Gewalt verherrlichende Spiele, bei denen es ums Töten geht, gehören nicht in die Hände von Kindern und Jugendlichen. Aber: die Verbreitung Gewalt verherrlichender Spiele ist in Deutschland laut § 131 StGB schon jetzt verboten. Wenn Herr Prof. Pfeiffer entdeckt hat, dass solche Spiele „auf dem Markt sind“, d.h. öffentlich angeboten oder zugänglich gemacht werden, sollte er das der Staatsanwaltschaft melden.“

Das Problem besteht also keinesfalls darin, dass solche Spiele in Deutschland für Kinder und Jugendliche erhältlich sind, sondern höchstens darin, dass Jugendliche auf anderen Wegen an die Spiele kommen. Aber sollte man daher die Spiele auch für Erwachsene verbieten und würde das überhaupt die erwünschte Wirkung bringen? Laut CDU-Vize Bosbach steht „der Schutz von Jugendlichen über dem Selbstbestimmungsrecht von Erwachsenen“ und daher fordert er ein Verbot der Spiele für alle Menschen, die in Deutschland leben. Er sieht das Problem also augenscheinlich darin, dass ein Erwachsener ein Spiel für einen Jugendlichen kaufen kann. Die Schlussfolgerung, daher den Erwachsenen die Spiele zu verbieten ist allerdings absurd, denn sie müsste sofort ein Verbot aller Produkte nach sich ziehen, die Erwachsene erwerben und nutzen dürfen, Jugendliche aber nicht. Das wären z.B. Alkohol, Zigaretten, Autos, Filme ab 18 und vieles mehr, denn dort ist das Problem gleich. Bei Alkohol und Zigaretten könnte man sich sogar die Diskussion über Schädlichkeit bei übermäßigem Konsum sparen und sofort verbieten, denn es ist belegt, dass es viele Verkehrstote durch Alkohol gibt, dass durch Sucht Leben zerstört werden, dass Familien zerbrechen und dass es zu häuslicher Gewalt durch Trinker kommt.

Argumentation der Verbotseiferer nicht logisch



Sicherlich würde eine solche wirklich logische Schlussfolgerung einigen der Verbotseiferer jedoch übel aufstoßen. So z.B. Herrn Stoiber, der sich immer wieder gerne beim Fass-Anstechen und mit dem Weißbier in der Hand filmen lässt. Warum gibt es also nicht nach jedem tödlichen Verkehrsunfall mit Alkoholeinfluss eine Debatte um ein Verbot? Das wäre wirklich logisch und konsequent, da ein Kausalzusammenhang zwischen Konsum und Negativauswirkung besteht. Aber scheinbar ist logische Schlüssigkeit in der aktuellen Diskussion weniger gefragt: So ist auf Focus online am 22.11.2006 über Christian Wulff zu lesen: “Niedersachsens Ministerpräsident hat nach dem Amoklauf eines 18-Jährigen in einer Emsdettener Realschule ein Verbot von Killer-Computerspielen gefordert.” Herr Wulff gehört also auch zu denjenigen, die Erwachsenen Menschen ihr Hobby verbieten möchte. Nur etwas mehr als zwei Wochen später ist wieder auf Focus online ein Zitat von Wulff zu lesen, diesmal zum Rauchverbot in Gaststätten: „Der Staat sollte sich nicht in alle Lebensbereiche einmischen, nicht alles gesetzlich regeln und sollte nicht dort Verbote schaffen, wo Menschen ihre Freiheit eigenverantwortlich nutzen müssen“.

Nach Angaben des deutschen Krebsforschungszentrums sterben jährlich 3300 Nichtraucher an den Folgen von Passivrauchen. Angesichts der Tatsache, dass es sich beim „Rauchverbot“ gar nicht um ein Verbot von Zigaretten, sondern nur um Rücksichtnahme auf Nichtraucher, die vom Qualm krank werden, handelt und dass bei Computerspielen noch nicht einmal die Möglichkeit einer erhöhten Gewaltbereitschaft, wissenschaftlich erwiesen ist, scheint es so, als ob der Spieleindustrie, im Unterschied zur Tabakbranche, einfach nur eine mächtige Lobby in Deutschland fehlt. Das ist kein Wunder, denn bisher hat es nur ein einziger, relativ kleiner, deutscher Spielehersteller geschafft, sich im Action-Bereich international zu etablieren.

Doch selbst wenn sich die unbequemen Fragen nach individueller Freiheit, und Menschenverstand nicht stellen würden, selbst wenn ein Verbot begründet und angebracht wäre, selbst wenn man einmal klar definiert hätte, was ein Killerspiel eigentlich ist und eine Institution hätte, die bestimmte Spiele für alle Menschen in Deutschland verbieten würde: Was würde passieren? Würden dadurch Jugendliche keine solchen Spiele mehr spielen? Dies ist ernsthaft zu bezweifeln. Da die Spiele im Rest der Welt erlaubt und - anders als in Deutschland - auch für Jugendliche zugänglich sind, können sie dort auch erworben werden. So auch in unseren Nachbarländern. Aber auch ohne diese Möglichkeit wäre der Bezug für Jugendliche kein Problem, denn der Bezugsweg für indizierte Spiele ist meist nicht der befreundete Erwachsene, der die Spiele kauft, sondern das Internet. Mit immer schnelleren Datenleitungen lassen sich die Spiele in Minutenschnelle aus dem Internet laden. Um ein Verbot zu überwachen, müssten also nicht nur Postpakete geöffnet werden, sondern auch Internetleitungen ständig überwacht werden. Vielleicht könnte man sich, falls so etwas ernsthaft durchgeführt werden soll, dabei von ehemaligen Stasi-Offizieren beraten lassen.

Freie Meinungsäußerung unterbunden



Wenn ein Spieleverbot also weder begründet noch sinnvoll ist, stellt sich die Frage, warum die Debatte sich so lange in den Medien hält, warum nicht über die eigentlichen, von Sebastian B. detailliert genannten Gründe diskutiert wird. Man muss sich weiter fragen, warum die vielen Gegner eines Verbots in den Medien nahezu ungehört bleiben.

Dies ist wohl mit dem momentanen politischen Klima zu begründen, dass einem altbekannten Manipulationsmuster folgt: Durch eine geschickte Verknüpfung von einer schrecklichen Tragödie mit einem politischen Ziel, dass als Allzweckwaffe gegen weitere Tragödien gepriesen wird, erreichen die Befürworter des Ziels eine gewisse moralische Hoheit und werden von der Masse als „die Guten“ wahrgenommen. Dies führt zum einen dazu, dass die Verfechter des politischen Ziels Popularität als „Macher“ erreichen und dass Gegner des Ziels zu den „Bösen“ werden und automatisch eine moralisch niedrigere Position vertreten.

Dieses Muster ist z.B. bei der Forderung nach Überwachungskameras nach Entführungsfällen zu beobachten und auch bei der Forderung nach Telefonabhörmaßnahmen nach Terroranschlägen. Wer sich nach einer Kindesentführung gegen Überwachungskameras ausspricht, ist plötzlich kein Bürgerrechtler mehr, sondern ein Sympathisant von mordenden Päderasten. Wer gegen Telefonabhören argumentiert, ist kein besorgter Bürger, der sich vor der Aushöhlung seiner Privatsphäre und vor Stasi-Methoden fürchtet, sondern ein Terrorsympathisant. Jene Menschen, die jetzt bei Computerspielen an Freiheit und Toleranz appellieren und vor Aktionismus und Schnellschüssen warnen, haben den nächsten Amoklauf zu verantworten. Und so kommt es, dass Spitzenpolitiker wohl überlegen müssen, wie sie sich im momentanen politischen Klima zu der Verbotsdebatte äußern. Auch dadurch dominieren Scharfmacher die Berichterstattung, denn sie haben (leider) nichts zu verlieren.

Und auch der Bevölkerung wird weiß gemacht, dass ein Verbot gebraucht wird. Kaum jemand weiß um den exzellenten Jugendschutz in Deutschland. Es wird ein Klima erzeugt, in dem eine Abneigung gegen Spiele mit Gewaltinhalten gleichbedeutend mit einer Verbotsforderung derselben ist. Es findet keine Differenzierung statt, zwischen etwas persönlich schlecht zu finden und etwas anderen Menschen verbieten zu wollen. Wer Gewaltspiele nicht mag, ist somit automatisch für ein Verbot. Dabei ist es völlig legitim, Ballerspiele als Ekel erregend und unnütz zu betrachten und Computerspiele im Allgemeinen als üble Zeitverschwendung zu sehen, ohne diese jedoch verbieten zu wollen! Es ist auch nachvollziehbar, wenn Nicht-Spieler den Unterhaltungswert solcher Spiele nicht verstehen. Es gibt ja auch Menschen, die nicht verstehen, was denn bitte so toll sein soll, wenn 22 Leute 90 Minuten lang einem Ball hinterher rennen oder eine Horde in PS-Boliden im Kreis herumrast und dabei das Leben riskiert.

Doch wo kommen wir hin, wenn Abneigungen in Verbote münden und enge Moralvorstellungen in Gesetze gegossen werden? Ist es nicht der große Verdienst und der Stolz West-Europas, das es hier so etwas nicht gibt? Dass jeder Mensch die Freiheit hat, so zu leben wie er möchte? Wenn jeder alles verbieten könnte was ihm nicht passt, wären wir bald in einem totalitären Polizei- und Überwachungsstaat in dem nur noch eine Art zu leben toleriert wird und in dem es keinen Fortschritt gibt. Warum verbieten wir nicht Fußball, wenn es doch jede Woche zu Hooligan-Ausschreitungen kommt?! Warum verbieten wir nicht Autorennen? Die sind gefährlich, verschmutzen die Umwelt und animieren zum Rasen! Warum nicht auch gleich Zigaretten, und Alkohol verbieten. Beides scheint sowieso ein Übel für die Jugend zu sein und wurde sicher auch von Robert Steinhäuser und Sebastian B. konsumiert. Oh, und natürlich muss man auch Pornographie verbieten. Immerhin schauen doch auch Vergewaltiger Pornofilme! Und was ist eigentlich diesmal mit den Schützenvereinen?

Woher die Idee zum Amoklauf wohl wirklich kam



Um der einseitigen und zum Teil heftig manipulativen Berichterstattung eine wissenschaftliche Grundlage zu geben, werden in Sondersendungen fast immer dieselben „Experten“ um Rat gefragt. Dabei handelt es sich z.B. um Professor Pfeiffer, über den im Spiegel am 15.12. stand „Will Deutschlands lautester Killerspiel-Kritiker Pfeiffer die Unterhaltungs-Softwareselbstkontrolle killen, um an deren Gelder zu kommen? Die USK und Deutschlands Spielentwickler sind wütend auf den Professor aus Hannover und werfen ihm Eigennutz vor.“ Bereits im September äußerte sich die USK über Pfeiffer: „Wir hoffen, noch immer, dass die Diskussion wieder auf eine sachliche Grundlage zurück findet und sich auf die klaren rechtlichen Regelungen bezieht, anstatt vermeintliche Erkenntnisse aus Forschungsvorhaben zu ziehen, die noch nicht einmal richtig begonnen wurden.“ Es ist zudem fraglich, ob von einem in der Zukunft liegendes Forschungsvorhaben, bei dem sich der Forscher bereits emotional über die (noch zu ermittelnden) Ergebnisse äußert, überhaupt eine unvoreingenommene Forschungsarbeit erwartet werden kann.

Nicht nur die Auswahl der „Experten“, die möglicherweise im Eigeninteresse handeln um Forschungsagenden bekannt zu machen und Forschungsgelder einzuheimsen (immerhin gibt es doch bei solch für die Menschheit gefährlichen Phänomenen immer viel Geld) wirft die Frage auf, warum die Presse den Forderungen bekannter Populisten so bereitwillig folgt. Sicher spielt die Quote eine Rolle, denn Schlagzeilen mit immer höheren Verbotsprovokationen bringen mehr Quote als schmerzende und komplizierte Introspektion einer Gesellschaft. Aber geht es hier wirklich nur um Quoten und um Stammtischbefriedung? Oder ist das Verhalten gerade der Fernsehberichterstattung in den wirklichen Hintergründen der Taten zu suchen? Lenkt die Behauptung, Killerspiele seien Quelle der Amokideen, nur von unbequemen Wahrheiten ab und von Debatten, in denen die Medienmacher selbst das Thema sind?

Um zu verstehen, wie man zu einer solchen Vermutung kommen kann, genügt z.B. ein Blick in den Untersuchungsbericht der Kommission Gutenberg Gymnasium zum Massaker Robert Steinhäusers in Erfurt 2002. Dort heißt es unter „Handlungen des Robert Steinhäuser und tatrelevante Geschehnisse bis zum Vorabend des Massakers“:

„20.4.1999 Amoklauf mit Suizid der Täter in Schule Littleton/USA. Die Erwähnung ist von besonderer Bedeutung, weil durch die Auswertung des Computers des Vaters durch das TKLA festgestellt wurde, dass eine Person (vermutlich RS) eine Recherche zum Littleton-Massaker durchgeführt hat.“

Beim Littleton-Massaker and der Columbine High-School in Colorado wurden 1999 zwölf Schüler und ein Lehrer von zwei als Außenseiter geltenden Schülern umgebracht. Dieses Massaker wird oft als die Urkatastrophe der modernen Schulmassaker gesehen. Weiter wird im Bericht der Kommission erwähnt, dass Robert Steinhäuser über Littleton gesprochen hat, die Durchführung gut fand und, laut eines Freundes, von den „Fernsehbildern, in denen gezeigt wurde, wie ein Schüler blutverschmiert aus dem Fenster gefallen ist, zugleich abgestoßen und fasziniert gewesen sei“. Zudem ging es laut eines Freundes von Robert Steinhäuser um Anerkennung und Aufmerksamkeit, „die größer ist als die mit dem Littleton-Massaker verbundene Aufmerksamkeit“.

Zwar gab es von Robert Steinhäuser keinen Abschiedsbrief, jedoch wurde auf seinem Computer eine Datei mit dem Namen „durchblick.doc“ gefunden. In dieser befand sich ein Text mit reichlich Kritik an den Nachrichtenmedien, da diese Computerspiele verteufeln und selbst das Geschäft mit grausamen Bildern betreiben. In dieser Datei steht wortwörtlich (in Bezug auf der zur damaligen Zeit vereitelten Amoklauf in Bayern): „Heute Mittag im Fernsehen. Vier 14 Jährige aus Bayern haben ein Blutbad in einer Schule geplant und können im letzten Moment überwältigt werden. Woher haben die Kurzen das blos? Ist das ein Szenario aus Unreal? Quake3? Duke Nukem? Oder haben 2 Wochen täglicher Berichterstattung und 20 Sondersendungen/Reportagen über Littleton gezeigt wie man so was erfolgreich umsetzt?“

Amokläufer als Idole der Ausgestoßenen



Sebastian B. war ebenfalls ein Bewunderer des Littleton-Massakers, welches von Eric Harris (Nickname REB) und Dylan Klebold (Nickname VoDKa) angerichtet wurde. In seinem Online-Tagebuch zählt er den Film „Bowling for Columbine“, der vom Massaker an der Columbine High School nahe Litlleton handelt, zu seinen Lieblingsfilmen. Er schreibt handschriftlich in sein Tagebuch:

26.09.2006

ERIC HARRIS [Amokläufer von Littleton]

Der wohl vernünftigste Junge den eine beschissene Highschool bieten kann… ERIC HARRIS IST GOTT! Da gibt es keinen Zweifel. Es ist erschreckend wie ähnlich er mir war. Manchmal kommt es mir vor als würde ich sein Leben noch mal leben, als wenn ich das alles noch mal wiederholen würde. Ich bin keine Kopie von REB, VoDKa, Steini […] Ich bin die Weiterentwicklung von REB! Aus seinen Fehlern habe ich gelernt, die Bomben. Aus seinem ganzen Leben habe ich gelernt.

Sebastian B. sah also ganz offensichtlich in Eric Harris (REB), einem der Amokläufer von Littleton, sein Idol und eiferte ihm ganz offensichtlich nach. Auch Harris und Klebold sahen sich als Außenseiter, die von ihren Klassenkameraden ausgestoßen wurden. Interessant ist auch, dass Harris und Klebold den Begriff „Jock“ für Personen, die sie verabscheuten, verwendet haben. Sebastian B. erklärte diesen Begriff in seinem Abschiedsbrief: „Jocks sind alle, die meinen aufgrund von teuren Klamotten oder schönen Mädchen an der Seite über anderen zu stehen“.

Die Funde bei Robert Steinhäuser lassen ebenfalls darauf schließen, dass er vom Littleton-Massaker inspiriert war. Die drei Taten ähneln sich also sowohl bei den Motiven als auch beim Vorgehen der Täter mit schwarzer Kleidung, mehreren Waffen, martialischem Gehabe und eingeplantem Suizid. Die Vermutung, es handle sich bei den Amokläufen in Deutschland um Nachahmungen der Littleton-Attentäter, liegt also nicht fern, sicherlich näher, als dass Computerspiele die Schuld tragen. Littleton ist somit für frustrierten Jugendlichen, die sich als Außenseiter sehen und deshalb Selbstmordabsichten hegen, sozusagen eine Blaupause. Harris, Klebold, Steinhäuser und jetzt eben auch Sebastian B. sind also die Idole von Jugendlichen, die ihr Umfeld hassen.

Eher medial inszenierte Selbsttötungen als Amokläufe



Die Taten sind dabei nicht, was gemeinhin unter einem Amoklauf zu verstehen ist. Die Massaker waren sorgfältig geplant, teilweise mit jahrelanger Vorlaufzeit. Der Selbstmord der Täter war dabei einkalkuliert. Von spontanen und unkontrollierbaren Wutausbrüchen kann nicht die Rede sein. Vielmehr handelt es sich um medial inszenierte Selbsttötungen. Sozusagen, aus den Augen der Täter, würdige Abgänge aus einer gehassten Welt, der sie endlich einmal zeigen, dass sie doch stärker sind als alle anderen. Dabei streben die Täter jeweils um Anerkennung. Durch das gigantische Medienecho auf jedes neue Massaker wird also nicht nur eine Bühne für solche Schreckenstaten geschaffen, auf denen die Täter zu Stars avancieren, sondern es werden auch Anleitungen und fatale Lösungen für extreme Konfliktsituationen an weitere potenzielle Täter geliefert. Dies führt zu einer möglichen Erklärung dafür, dass die Medienanstalten so bereitwillig auf die Anti-Spiele-Kampagne einsteigen: Eine offenere Suche nach Ursachen würde auch ihre eigene Rolle bei der Verbreitung von Amok-Ideen, der Erzeugung von Gewaltfantasien und der Inszenierung von Gewalttätern zumindest hinterfragen. Bereits in den 90er Jahren wurde die Rückkopplung zwischen Nachrichtenmedien und Gewaltverbrechen heftig diskutiert. Oliver Stone setzte dieser Idee 1994 mit seinem kontroversen Film „Natural Born Killers“ ein Denkmal.

Wie die wahre Gefahr ignoriert wird



In der Vorbildrolle, die Massaker wie das in Littleton und in Emsdetten ausüben, liegt die wirkliche Gefahr: Es werden extreme Rezepte für verzweifelte und nach Anerkennung strebende Jugendliche geliefert. Wer momentan die relevanten Kommentare von Jugendlichen in Internetforen und auf dem YouTube Videoportal liest, merkt schnell, dass sich zumindest viele mit den Hintergründen der Tat identifizieren und Sebastian B. verstehen können. So schreibt z.B. Benutzer 172Paddy172 auf YouTube.com „Schon mal seinen Abschiedsbrief gelesen? Seine Meinung war nicht die schlechteste. Er wurde nur niedergemacht!!“ Ein anderer Benutzer schreibt „Bastian hat in sehr vielen Teilen recht, manchmal ist es vielleicht etwas übertrieben. Aber so Gefühle kenne ich nur zu gut“. Ein weiterer Nutzer schreibt über den Abschiedsbrief (siehe Anhang): „Jeder Mensch sollte sich denn Brief in Deutschland durchlesen vielleicht kapieren sie es dann endlich und wachen wirklich auf“

Doch anstatt zu versuchen, jegliche Spuren von Sebastian B. aus dem Netz zu löschen, wie es im Moment durch die Polizei versucht wird, sollte aus den vorhandenen Quellen ein Verständnis der Tathintergründe, fernab von Schlagzeilen und medialer Schnellaufbereitung stattfinden. Die Verantwortung, die bei Lehrern, Eltern, Mitschülern, Politikern und Medien liegt, muss jetzt wahrgenommen werden. Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um verzweifelten, frustrierten, gedemütigten und Suizid gefährdeten Jugendlichen einen besseren Ausweg als medienwirksamen Selbstmord anbieten zu können. Das wäre ein Weg, weitere Massaker an deutschen Schulen erfolgreich zu verhindern. Dazu ist eine Analyse der Ursache und vor allem auch der Hinterlassenschaften von Sebastian B. notwendig.

Leider verhindert die völlige Fokussierung auf Computerspiele diese, vermutlich lebenswichtige, Diskussion um wahre Hintergründe und Konsequenzen und trägt so dazu bei, dass der Status Quo erhalten bleibt und es jederzeit zu neuen Massakern kommen kann. Durch ein Verbot könnte sogar noch mehr Schaden angerichtet werden, denn dieses würde dafür sorgen, dass sich Jugendliche noch mehr von einer Gesellschaft, in der ihr Hobby verboten wird, entfremden und sich zurückziehen. Genau dies fürchten auch Jugendarbeiter, die Spiele wie Counter-Strike als Plattform zum Kontakt mit Jugendlichen nutzen. Ein Verbot würde die Spiele und ihre Spieler in die Illegalität verbannen und somit vom Einfluss von Jugendarbeitern isolieren.

Somit ist die aktuelle Computerspiele-Debatte angesichts der Gesetzeslage, dem Stand der Forschung und den Erkenntnissen über den Täter nicht nur fehl am Platz, sie „killt“ auch jegliche Versuche, sachlich zu erörtern, wie mit dem Problem von Massakern umzugehen ist. Sie droht zudem, den Kontakt zu ohnehin zurückgezogenen Jugendlichen völlig zu kappen.

Schlussfolgerung



Wir müssen in Deutschland lernen, auch in emotional aufgeheizten Situationen rational zu diskutieren und dürfen uns nicht durch Schnellschüsse und Nebelkerzen von bekannten Populisten, die sich die Ängste der Bevölkerung für ihr eigenes politisches Kalkül zu Nutze machen, ablenken lassen. Das Ausmachen von Sündenböcken ist nicht nur unfair, es verdeckt real existierende Probleme und Sorgen von Jugendlichen und täuscht so über die echte Gefahr neuer Taten hinweg. Somit wird durch Propagieren von scheinbar einfachen Lösungen für komplexe Probleme echte Prävention verhindert. Wir müssen erkennen, dass solche Hexenjagden auch Ausdruck von Ratlosigkeit von Politik, Gesellschaft und Medien sind und somit kein Zeichen der Stärke. Die Botschaft, die dabei an potenzielle Amokläufer, die der Debatte sicherlich folgen, übermittelt wird, ist, dass ihre Probleme nicht gehört bzw. verstanden werden. Nur eine faire und offene Analyse der Vorfälle, ein Verstehen der Beweggründe und eine sachliche, geduldige Diskussion, die nicht mit politischen Zielen verknüpft ist, kann zu Lösungsideen führen, die dann von verschiedenen Teilen unserer Gesellschaft gemeinsam umgesetzt werden müssen. Die dafür notwendige Selbstanalyse der Gesellschaft schmerzt, sie ist jedoch unabdingbar. Die Beweggründe einer Tat nachvollziehen zu können, heißt nicht, die Tat zu rechtfertigen oder gar zu entschuldigen. Wir haben die Pflicht, verzweifelten Jugendlichen bessere Auswege als medial inszenierte Rache-Selbstmorde zu geben. Dazu müssen wir die Motivation der Täter verstehen, anstatt gefährdete Jugendliche durch sinnlose Verbote noch weiter ins Abseits zu drängen. Wir müssen uns insbesondere überlegen, wie wir verhindern, dass jeder vorige Amoklauf die Vorlage für den folgenden darstellt.

Die Debatte über Computerspiele muss durch eine sinnvolle Debatte über die wahren Hintergründe der Tat und mögliche Konsequenzen ersetzt werden. Wir müssen darüber sprechen, wo die Probleme in unserer Gesellschaft liegen und nicht darüber streiten, ob Doom brutaler ist als Counter-Strike. Computerspiele sind nicht an Massakern schuld. Auch nicht teilweise oder ein bisschen. Zwar behauptet auch niemand direkt und ernsthaft diese Schuld, aber trotzdem entsteht durch geschickte Verknüpfung der eigentlich überflüssigen „Killerspiele“-Debatte mit der schrecklichen Tat in Emsdetten und ein paar gestreuten „vielleicht“ und „möglicherweise“ bei der Computerspiel-unerfahrenen Bevölkerung der Eindruck vom bösen Spiel, das unsere gesunden Kinder ruiniert. Computerspiele, auch solche mit Gewaltinhalten, sind das Hobby von Millionen in Deutschland und dürfen nicht als Sündenböcke für tief sitzende gesellschaftliche Probleme und als Blitzableiter für die Wut der aufgebrachten Massen missbraucht werden. Die vielen Computerspieler in Deutschland dürfen nicht weiter diskriminiert werden. Es muss endlich von allen Schichten der Gesellschaft anerkannt werden, dass Spiele bereits heute ein fester Bestandteil unserer Kultur sind. Es muss akzeptiert werden, dass es wie bei Filmen und Büchern auch, Spiele für Kinder, für Jugendliche und für Erwachsene gibt und dass in Deutschland ein funktionierender und anerkannter Schutz von Kinder- und Jugendlichen vor Erwachsenenspielen existiert. Dieser Schutz ist sogar der verbindlichste in der demokratischen Welt! Dafür verdienen die USK und die Bundesprüfstelle Anerkennung und nicht permanente Anfeindung in den Medien. Der Begriff „Killerspiele“, der eine differenzierte Betrachtung unmöglich macht und Actionspiele automatisch als etwas Abnormales diffamiert, sollte am Besten völlig aus der öffentlichen Diskussion verschwinden.

Durch die anhaltende Diskussion über die angebliche Gefahr von Computerspielen sind nicht nur Chancen vergeben worden, wirkliche Lösungen für die Amoklauf-Problematik zu finden. Vielmehr hat auch die demokratische Kultur in Deutschland Schaden genommen, denn es hat sich in der Öffentlichkeit die Idee vom Verbot als akzeptabler Allzweck-Lösung für gesellschaftliche Probleme breit gemacht. Hier sollten wir uns wieder klar werden, dass in einer freiheitlichen Demokratie ein Verbot immer ein letztes Mittel sein muss und dass es in einer freien Gesellschaft normal ist, dass man Meinungen, Lebensstile und Hobbys anderer nicht mag oder gar verabscheut, ohne diese aber jemals verbieten zu wollen. Nur wer Anderen Freiheit gewährt, kann selbst in Freiheit leben.

(c) & Quelle: http://freisein.wordpress.com

Wem der Text noch nicht genug war: Die 10 wichtigsten Argumente gegen ein Verbot von „Killerspielen“